Das „Wort“ – so heißt nicht nur der Titel eines eindrucksvollen Werkes des Landauer Buchkünstlers Reinhold Nasshan. Um Text und Wort und um all das, was man daraus mit typographischen Mitteln, Illustrationen, verschiedenen Papieren und Einbänden machen kann, drehte es sich auch bei der Ausstellung der „2. Galerie der Buchkunst“. Vom 30. Mai bis zum 1. Juni 2008 konnten hier neun vom Mainzer Gutenberg Museum geladene, internationale Künstler ihre Arbeiten einem interessierten Publikum vorstellen.
Bei der Kurzgeschichte „Wort“, die auch „Umkehr zur freiwilligen Gefangenschaft“ heißt, geht es um die Macht des Wortes. Ein Mensch lernt, was er mit Worten alles bewirken kann, wie er damit auftreten und sich in Szene setzen kann. Im Laufe der Zeit hat allerdings das Wort ihn in der Hand, er wird zum Sklaven seiner Worte. Jetzt versucht der Mensch, sich von den Worten zu befreien. Das ist viel schwerer, als das Wort zu nutzen.
Reinhold Nasshan erzählt die Geschichte mit unterschiedlichen typographischen Elementen, die umso intensiver und kräftiger werden, je mehr Gewalt das Wort hat. Er spielt mit Worten und mit Farben. Das Ende der Geschichte ist eine weiße Seite. „Form und Inhalt sollen für mich eine Einheit bilden“, sagt der studierte Germanist und Theologe Nasshan. Aufgeschlagen hat das Buch deshalb auch die Gestalt eines „W“.
Die Einheit des Ganzen: Form und Inhalt
Ganz gezielt setzt Nasshan Inhalt und Form auch bei seinem Werk „Tohuwabohu. Genesis des Menschen ein“. Auf sieben Tage verteilt erzählt er die Erforschung der modernen Atomphysik als Schöpfungsgeschichte der Menschheit. Hochbegabte Wissenschaftler sitzen hier in einem Kellerlaboratorium und beobachten ihr Leben lang, wie ein Atom zerfällt. Wenn sie das erforscht haben, haben sie die wissenschaftliche Theorie von der Entstehung der Welt bewiesen. Das Werk basiert auf dem Gedanken, dass der Mensch nur durch Zerstörung, hier durch Kernspaltung, Erkenntnisse gewinnen kann. Das stellt eine riesige Bedrohung dar, gibt zugleich aber auch die Hoffnung auf Harmonie, auf die Lösung vieler Probleme (z.B. der Energiegewinnung).
Umgesetzt wird dieser Gedanke weniger typografisch, als vielmehr durch ausgeschnittene geometrische Figuren. Jeweils auf der linken Seite des Buches repräsentieren die geometrischen Löcher die Zerstörung. Beim Blättern stellt sich dagegen Harmonie ein: Eine neue, mehrfarbige Figur entsteht, die alle Seiten des Buches in dem Ausschnitt erscheinen lässt.
Experimentelle Wahrnehmungs-Ebenen
Dass nicht nur Form und Inhalt seine Themen transportieren, wird an einem anderen Werk von Nasshan deutlich, einer Interpretation von „Finnegans Wake“ des irischen Dichters James Joyce. Nachdem sich der Roman aus einer Anzahl von Artikeln zusammensetzt, die Joyce früher geschrieben hatte, verwendet Nasshan als Buchmaterial bewusst Leinen. Damit soll das Vernetzte, ineinander Verwobene der einzelnen Joyce-Texte unterstrichen werden. Und er stellt seine Bilder mit einer speziellen Technik, der sog. Cyanotypie, her, die er nur nachts praktizieren kann. Dann wird mit einer bestimmten Chemikalie gemalt, das Bild durch das Tageslicht belichtet und das Ganze anschließend ausgewaschen. „Meine Arbeitsweise wird so zu einem nightdream“, ähnlich der Idee von James Joyce in „Finnegans Wake“.
Reinhold Nasshan, seit 1987 Inhaber der „Einhand Press“, legt Wert darauf, dass Satz, Druck, Illustration, Einband und Bindung aus einer Hand kommen. Er möchte dem Betrachter seine Sicht der Dinge vermitteln, die ihn gerade gedanklich beschäftigen – ob über Atomphysik, Kommunikation oder Romane von James Joyce.
Ein Forum für weltweit schaffende Künstler
Ganz anders sieht sich der in Irland lebende Buchkünstler und Verleger Francis van Maele. Ihm geht es vor allem darum, Künstlern aus aller Welt ein Forum zu geben. Das ist ihm u.a. mit seiner bemerkenswerten Reihe „Blue Fox“ gelungen. Auf 20 Seiten konnten sich Künstler wie Pierre Garnier oder Pit Wagner zu einem Thema ihrer Wahl entfalten. Entstanden sind bisher neun kleine, zieharmonikaähnlich aufklappbare Büchlein, die sich thematisch vom Selbstporträt bis zur Nacht der blauen Monde strecken.
Auch Maeles Werk „Madonna“ ist das Ergebnis der Arbeit vieler Künstler. Hier setzte van Maele auf „Mail Art“, ein Netzwerk von Künstlern, das es seit den 70er-Jahren gibt. Aus Ländern wie Luxemburg, Japan oder Australien ließ sich van Maele Werke zum Thema „Madonna“ schicken. Mit Siebdruck vervielfältigte er dann die besten Arbeiten davon und setzte sie in eine buchähnliche Holzkiste, die sich zusammen mit einem Kreuz und Weihwasser wie ein kleiner Altar einsetzen lässt.
Das Buch erleben
Für Francis van Maele sollen Bücher eine Entdeckungsreise darstellen, so wie auch sein Werk „Traveling Fish“. Bevor man das Buch betrachten kann, muss man es aus einer Holzkiste ziehen. So beginnt die Reise des auf dem Cover abgebildeten Fisches, der farbig unter dem Plastikeinband hervorsticht. Er ist unterwegs von London nach Amsterdam, über Ghent, Paris, Luxemburg und schließlich Irland. Dass sich die Welt hier unterwegs sehr verändert, erfährt man nicht nur durch die dargestellten Motive von der Hafenmauer bis zu den Resten eines gesunkenen Schiffes deutlich. Vielmehr wandelt sich auch das Material der Buchseiten von Wachspapier, über Gummi, unbelichtete Lithografie-Filme oder Kunststoff.
Die „2. Galerie der Buchkunst“ war also eine Entdeckungsreise für jeden Kunstinteressierten oder Sammler. Hier bekam man Einblicke, wie sie sonst nur bei individuellen Werkstattbesuchen möglich sind. Ein Insider-Tipp, der auch in zwei Jahren wieder eine Reise wert ist. Denn dann wird die nächste Galerie der Buchkunst zu betrachten sein, die zweijährlich im Wechsel mit der Mainzer Minipressen-Messe stattfindet.