Buchbinderei Köster
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Jul
2022

Die H.Berthold AG

von P.Störke
Die Geschichte hinter der Geschichte 
 
Hermann Berthold schrieb mit der Gründung seines Instituts für Galvanotypie 1858 nicht nur deutsche, sondern auch weltweite Geschichte. 1896 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und so erhielt das bereits sehr bekannte Unternehmen frisches Kapital für neue Aktivitäten. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Das Unternehmen erlangte immer größere Bekanntheit und expandierte laufend. In den 1920er Jahren wurde die H. Berthold AG zur weltweit größten Schriftgießerei. Das Unternehmen wurde wegen seiner innovativen Entwicklungen weltberühmt. Die Entwicklung von Geräten für den Fotosatz wurde Bestandteil des ständigen Sortiments. Die Produktion der Schriften bildete stets die Kernkompetenz. 1993 war das Unternehmen allerdings überschuldet und wurde liquidiert.
 
 
Die Schriften der H. Berthold AG
 
Die Gestaltung von Schriften ist eine sehr alte Kunst, die nach viel Geschick, Können und Know-how verlangt. Zu den besten Schriftgestaltern gehörten Louis Oppenheim, Georg Salden, Erik Spiekermann, Bernd Möllenstädt und Günter-Gerhard Lange. 
Sie kreierten für die H. Berthold AG berühmte Schriften wie die
 
- Baskerville
- Berliner-Grotesk
- Boulevard
- Catull (altes Google-Logo)
- Akzidenz-Grotesk
- Concorde
- Imago
- Daphne
- Derby
- Walbaum
 
Warum besteht die weltgrößte Schriftgießerei nicht mehr?
 
Der Rückgang der Nachfrage brachte das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten. Somit blieb nichts anderes übrig, als Konkurs anzumelden und das Unternehmen wurde mit Beschluss des Berliner Konkursgerichtes 1993 zur Liquidierung nach 135 Jahren! Somit gab es keine Rechtsnachfolge. Daher war es möglich, dass zahlreiche Unternehmen die lizenzierten Schriften der H. Berthold AG vertreiben konnten. Das Auktionshaus Ebay bot die hochwertigen Schriften zu Schleuderpreisen an.
 
 
Hermann Berthold, ein Deutscher, der die Welt mit seiner hochwertigen, kreativen Arbeit begeisterte!
 
Als gelernter Feinmechaniker setzte er seine Fachkenntnisse äußerst kreativ ein. Er erfand die Messinglinien und die Methode zur Herstellung von Kreislinien ohne Löten. Das spart sehr viel Zeit. 1864 erfand er den Winkelhaken und wurde somit quasi über Nacht zum Vater der modernen Druckersetzkunst. Dabei handelt es sich um ein Werkzeug, das die Aufreihung der Lettern zu Zeilen mit dem Keilhebelverschluss erleichtert. 1878 erhielt Hermann Berthold von den deutschen Schriftgießereien den Auftrag, für mehr Ordnung im Chaos des typografischen Maßsystems zu sorgen, da die Arbeit damit ziemlich umständlich und mühsam war. 1879 präsentierte er das Berthold-Typometer, das seit damals als Standard-Maßsystem für das deutsche Schriftgießereigewerbe gilt. 1888 ging Hermann Berthold nach 30 erfolgreichen Jahren in den wohlverdienten Ruhestand.
 
 
Die weltweite Expansion
 
Dass Hermann Berthold auch ein gutes Händchen für Geschäfte besaß, bewies er durch seine Firmenzukäufe und Expansionsstrategien. Auch in der „guten, alten Zeit“ gab es unternehmerische Stürme, hohe Steuern und Ausgaben zu überbrücken und so manche geschäftliche Intrige zu umschiffen. Hermann Berthold gründete zunächst in Deutschland mehrere Zweigniederlassungen, die mit dem Aufkauf der Schriftgießerei Gustav Reinhold 1893 begann. Dieses Unternehmen verfügte über sehr gute Geschäftsbeziehungen nach Finnland, Schweden und Dänemark. Reinhold wurde aber Teilhaber von Berthold und Mitglied im Vorstand. Somit sicherte sich Hermann Berthold zusätzliches Know-how und hochwertige Expertise. 
 
Die Schriftgießerei Bauer & Co folgte vier Jahre später. Dadurch gewann die H. Berthold AG eine Messinglinienfabrik dazu. 1901 kaufte Hermann Berthold Gießerei Georg Russ & Co in St. Petersburg und 1905 die Gießerei Rust & Co in Wien dazu. Durch die vielen Expansionen waren drei Neubauten notwendig geworden. 1910 gründete Hermann Berthold eine neue Zweigniederlassung in Leipzig-Paunsdorf und wurde damit zur weltgrößten Schriftgießerei. Durch die letzte Übernahme wurde natürlich auch das Schriftenprogramm übernommen. 1911 erschien die Hauptprobe des Unternehmens, die 850 Seiten stark war, das den Kunden systematisch geordnete Schriftenmuster aller lieferbaren Schriften bot.
 
 
Jeder Schritt im Unternehmen ein neuer Erfolgsbaustein für den Welterfolg
 
Unter Dr. Oscar Jolles wurde 1899 ein kreativer Kaufmann mit Weitblick zum Direktor des Unternehmens ernannt. Künstlerisch ein Laie, setzte er sich weiter für kreative Innovationen des Unternehmens ein. Somit entstanden weiter heiß begehrte Schriften und bibliophile Sonderdrucke des Unternehmens. Unter seiner Führung kam es zu den Filialen in Petersburg, Moskau, Wien und Prag sowie der Kreation neuer Schriften.
 
 
Wie überstand die H. Berthold AG die Kriege?
 
Durch den Ersten Weltkrieg hatte das Unternehmen mit hohen Rohstoffpreisen und knappen Energieressourcen zu kämpfen. Hermann Berthold ist es zu verdanken, dass es dank seines Erfindergeistes zu achtzehn neuen Schriften kam und das Unternehmen somit sogar im Krieg erfolgreich blieb. 1917 wurde Erwin Graumann aus der integrierten Gießerei Gursch neuer Direktor der H. Berthold AG. 1926 kaufte Hermann Berthold mit der Schriftgießerei D. Stempel AG die Wiener Schriftgießerei Poppelbaum. Im Zuge des Kaufes erwarb Hermann Berthold die Hälfte der Aktien der aufgekauften Firma an der ungarischen Partnerfirma von Stempel. 
 
Nach einigen Veränderungen im Vorstand befanden sich in der H. Berthold AG 1938 noch zwei jüdische Aufsichtsratsmitglieder. Das waren Heinz Pinner vom Ullstein-Verlag sowie Bernhard Merzbach von der Bank Merzbach. Die Zukäufe und die damit verbundenen Vorteile der H. Berthold AG erlaubten es dem Unternehmen, trotz des Zweiten Weltkriegs bis 1944 stabile Umsätze zu erwirtschaften. 1944 ging die Budapester Filiale verloren und 1945 brannte das Haupthaus in Berlin wegen eines Bombentreffers ab. Dennoch schaffte es, Hermann Berthold noch im selben Jahr an anderen Standorten in Berlin und Stuttgart Handsatztypen und Messinglinien zu produzieren.
 
 
Die Accidenz-Grotesk und ihre Bedeutung
 
Diese besondere Schrift wurde 1898 kreiert. Als die Firma in eine AG umgewandelt wird, wird diese spezielle Schriftart in Akzidenz-Grotesk umgewandelt. Sie gilt als „Mutter aller Groteskschriften“, das heißt, dass diese Schrift ohne Serifen oder Füßchen auskommt. Diese Spezialschrift wird auch noch im 21. Jahrhundert als etwas Besonderes behandelt.
 
 
Die Fotosatztechnik – der Schritt in eine neue Welt
 
Nachdem Tod von Graumann und Krause und zahlreichen Veränderungen sowie Entwicklungen übernahmt 1956 Curt Thier als Direktor die Leitung der H. Berthold AG. Die Grundlage dafür bildete die Beteiligung an der Hoh & Hahne Hohlux GmbH, die Reproduktionsgeräte herstellte. Die Diatype war die erste Fotosatzmaschine der H. Berthold AG. Zunächst handelte es sich um mechanische Maschinen mit Schriftschablonen (Diatronic). Die überaus erfolgreichen Messinglinien wurden 1978 aufgegeben und die eigenen Schriften auf das neue Satzverfahren umgestellt. Im Laufe der Zeit war aus dem Anbieter von Schriften eine Maschinenfabrik geworden. Die Fotosetzmaschinen waren das neue Hauptprodukt des Unternehmens.
 
 
Worauf fußt der Welterfolg der H. Berthold AG?
 
Hermann Berthold legte einen sehr hochwertigen, gut durchdachten Grundstein mit viel Weitsicht und Engagement. Seine Erfindungen waren funktionstüchtig, praktisch und ein technisches Detail oder eine Kreation, die jeder brauchte. Sie bildeten das Fundament, auf dem es sich gut aufbauen ließ. Strategisch ausgefeilte Zukäufe, die für das Unternehmen von größtem Nutzen waren, festigten das Fundament des Unternehmens, sodass es auch in Krisenzeiten wie dem Ersten und Zweiten Weltkrieg überleben konnte. Alle Direktoren und Nachfolger Bertholds waren ausnahmslos jahrelang im Unternehmen oder der Branche tätig. Viele hatten selbst Schriftgießereien betrieben und kannten die Branche daher in- und auswendig. Das waren alles zusätzliche Mehrwerte für die H. Berthold AG. Der weltweite Ausbau mit Unternehmen der Branche, die bereits im Ausland erfolgreich waren, war ein weiterer klug durchdachter Schritt. Dass besonders ein Technikunternehmen immer am Puls der Zeit bleiben muss, also immer wieder Innovationen auf den Markt bringen muss, war von Beginn an das große Plus der H. Berthold AG. Das hat das Unternehmen auch nach 135 Jahren noch mit der großartigen Entwicklung der Fotosetzmaschine bewiesen. 
 
 
Warum hatte das Unternehmen dann trotzdem keinen Rechtsnachfolger?
 
Der Markt ist übersättigt und es werden nicht mehr die Preise gezahlt, die notwendig sind, um ein so großes Unternehmen am Leben zu erhalten. Es gibt einfach zu viele Unternehmen und Billiganbieter.
 
Fotonachweise :
Die Fotos 1 -3 stammen aus dem Buch, das Haus Berthold aus dem Jahre 1921
Chronik zum 25 jährigen Bestehen der Berthold AG, welches sich im Besitz des
Verfassers befindet.
Die Fotos 4 und 5 sind gemeinfrei.
 
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